Als Urknall Mode war
Physik vom andern Stern
ALLES aus NICHTS?
Dunkle Materie
Weltbild-Wunder
Der blinde Beobachter
Vergeistigte Physik
ORAKEL Einstein
LICHTUHR RELATIV
Schizophrene Physik
Fehlerproduktion RT
Logik versus Logik
Langsamere Uhren?
Ist Wissenschaft frei?
"Elvis lebt!"
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"Als Gott geboren wurde"

Kommentar zur Doku in "Quarks & Co" mit Ranga Rogeshwar vom 10.05.2011


                                                                                                               17.05.2011

 
Sehr geehrter Herr Rogeshwar,

der oberste Repräsentant der weltweit bedeutendsten wissenschaftlichen Akademie, der Papst, dürfte sich über Ihr letztes Wissenschaftsmagazin vom 10.05.2011 gefreut haben. „Als Gott geboren wurde“ stellt die Welt exakt so dar, wie sie dem Wunschdenken moderner klerikaler Kreise entspricht: Physik und Religion haben gleiche Denkmuster, so dass es z.B. kein Zufall sein kann, dass es sechs Phasen der Kosmosentwicklung und sechs Schöpfungstage gibt. Letztlich sucht man am CERN den „Geist“, das Immaterielle – letztlich die göttliche Idee, die sich in der Materie versteckt. Die Physik wird wieder zur Magd der Theologie.
Dass von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften derartige Denkmuster immer aufs neue generiert und verbreitet werden, ist eine uralte Praxis. Dass aber nach Galilei, Kant (Aufklärung), Einstein usw. fast der gesamte Wissenschaftsbetrieb noch immer derart unlogische Argumentationsketten fleißig kritiklos popularisiert, ist ein Anachronismus, der unendlichen Schaden für die Institution „Wissenschaft“ herbeiführt: „6 Kosmos-Phasen – 6 Schöpfungstage“. Wo um alles in der Welt liegt hier ein wissenschaftlich verifizierbarer Zusammenhang? Welcher logisch geschulte Mensch vermag im Urknall einen Punkt der Ausdehnung Null zu sehen, aus dem sich Raum, Zeit und Materie entwickelt hätten? Der Jesuitenpater Lemaître hat seine Überzeugung vom Schöpfungsakt in eine physikalische Form gegossen und Einstein hat ihm daraufhin auf Anfrage eine „scheußliche Physik“ bescheinigt. Papst Pius XII. hat das Konzept abgesegnet: „... von jenem am Uranfang stehenden Fiatlux, als die Materie ins Dasein trat und ein Meer von Licht und Strahlung aus ihr hervortrat, ... Die Erschaffung also in der Zeit; und deshalb ein Schöpfer; und folglich ein Gott. Das ist die Kunde, die Wir, ... von der Wissenschaft verlangten und welche die heutige Menschheit von ihr erwartet.“ (Papst Pius XII. am 23.11.1951 vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften) Wer hat heute die Stirn, sich derart eindeutigem Verlangen zu widersetzen – ausgesprochen vom Repräsentanten einer mächtigen Institution, die sich gleichermaßen für Physik wie die Heiligsprechung von Wundertätern zuständig fühlt?  

Der zum „größten lebenden Genie“ hochstilisierte Hawkins hat gemeinsam mit Penrose diese Urknall-Vorstellung mathematisch unumstößlich „bewiesen“ und mit frommer Unterstützung über Jahrzehnte zum „wissenschaftlichen Weltbild“ gemacht – gegen alle geltenden Gesetze der Physik: „Singularität“ ist nun mal nur ein schöneres Wort für „Null-Ausdehnung“.  Nachdem sich dieses von Anfang an physikalisch unmögliche Weltmodell dann doch nicht als „Schöpfungsereignis“ halten ließ, wurde es eben den vielfältigsten „Modernisierungen“ unterworfen – bis hin zu einem implodierenden Kosmos mit negativer Zeitrichtung vor dem Urknall. Jeder Medienprofi weiß, dass die Propagierung auch einer absolut abwegigen Idee immer möglich ist, wenn die nötigen Mittel zur Verfügung stehen (der fromme Missionar-Milliardär Templeton lud einmal hunderte Urknall-Koryphäen zum Gipfeltreffen nach Kalifornien, und alle, alle kamen… Noch heute ist der Templeton-Preis mit 1 Million Dollar der höchst dotierte Preis für fromme Physiker).

Nun ist jedem freigestellt, welchem Weltbild er sich zuwendet. Wenn aber ein Wissenschaftsmagazin den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, so muss es sich an gewisse Regeln halten. „Geist ist immateriell wie das Licht. Das weiß jeder.“

Dass Licht eine immaterielle Erscheinung ist, mag im religiösen Denkmuster gelten. Im physikalischen Denkmuster ist eine solche Behauptung haarsträubender Unsinn. Einsteins Formeln lassen uns exakt die Energiemenge eines Lichtquants angeben (auch ein Massenäquivalent)  und damit seine Wirkung vorausberechnen. Elektromagnetische Felder sind Formen der Materie. Die Opferung derartiger Tatsachen zugunsten theologisch gewünschter Aussagen halte ich für den Sündenfall moderner Wissenschaft. Irgend eine Behauptung penetrant wiederholt und von seriösen Leuten immer und immer wieder in immer eindrucksvolleren Bildern, Filmen usw. veranschaulicht, schafft jene Überwältigungswissenschaft, die Mehrheiten für die Anerkennung auch des gröbsten Unfugs empfänglich macht. Irgendwann halten dann auch intelligente Menschen z.B. Zeitreisen für möglich, wo der Urur-Enkel seinen Großvater erschießen kann, aber durch Übertritt in ein Paralleluniversum… usw.

Natürlich ist die Rückendeckung derartiger Pseudowissenschaft durch mächtige (eher an Wundern interessierten) Institutionen ein ernstzunehmendes Problem für die Wissenschaft. Aber ein noch größeres Problem sehe ich in der fröhlichen Preisgabe von Positionen, die die Wissenschaft hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurückfallen lässt: Die Physik ist Gottes und nicht des Menschen Wille – oder könnten Sie sich eine Physik gegen Gottes Wille vorstellen? Das schrieb mir in einer Email nicht der Papst sondern ein ehemaliger Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Auf diesen Konsens sollen wir eingeschworen werden, und auch Ihr Wissenschaftsmagazin bedient kritiklos diese Vorgabe.
In populärwissenschaftlichen Sendungen sind Abstriche an exakter wissenschaftlicher Darstellung unvermeidbar. Aber unter diesem Vorwand Falschaussagen zu popularisieren, die einer Ideologie geschuldet sind, ist nicht hinzunehmen. Leider ist die Ursache dafür oft genug bereits in der dargestellten Theorie angelegt, - kann also nicht den Journalisten angelastet werden. Aber von Wissenschaftsjournalismus sollte auch ein Mindestmaß an kritischer Haltung gegenüber offensichtlichen Auswüchsen fantastischer (unwissenschaftlicher) Weltbeschreibung erwartet werden. Wenn wir schon so weit sind, dass der Urknall von führenden Experten (Brian Greene) in die Kategorie „Wunder“ eingestuft werden darf, sollte ein Punkt erreicht sein, an dem der weiteren Vereinnahmung der Physik durch religiöse Ansprüche entgegengewirkt werden muss.

Die Methode der Physik unterscheidet sich grundsätzlich von der Methode, religiöse Gewissheiten zu erzeugen. Natürlich soll es kein Gegeneinander der jeweiligen Protagonisten geben, aber eine Vermischung der abgegrenzten Positionen führt zu jener märchenhaften Weltsicht, wie sie gegenwärtig reinsten Gewissens unter freundlicher Mithilfe der Wissenschaften produziert wird.

Die  suggestive Frage „Der Himmel des Christentums – ein Paralleluniversum neben unserer Welt?“ löst zwar für die Theologen das prekäre Problem der Lokalisierung des christlichen Himmels in Zeiten weitreichender Kosmosforschung, hat aber nicht den Hauch einer Chance, mit physikalischen Methoden bestätigt zu werden. Das ist für den Physiker völlig unbefriedigend, aber seinem Gegenüber, dem Theologen, ist gerade wohl in diesem Schwebezustand des Geheimnisses, des Ungefähren – des Wunders. Es ist dies nicht dem Theologen vorzuwerfen – dies ist sein Job. Es ist den Institutionen der Wissenschaften (Physik) nicht zu verzeihen, dass sie eine solche existenzbedrohende Verwässerung zugelassen und sogar befördert haben. Auch Ihr Film zeigt überdeutlich, wie Spitzenforscher zu Aussagen gedrängt werden, die primär auf Geistsuche, Sinnsuche, Herkunftssuche usw. abzielen, erst sekundär erfährt man auch etwas von einem Mini-Urknall – natürlich hinsichtlich der Bestätigung christlicher Schöpfungsmythen: „Ich bin das Licht der Welt, spricht der Herr. Licht ist überall und unendlich.“

Als Gott geboren wurde…

Dies ist ein Thema, zu dem geistliche Eliten im Jahr des Papstbesuches in Deutschland  geistvoll disputieren können. Als Thema für ein wissenschaftliches Magazin gerät es in den Verdacht, als eine Art Trojaner in eine gänzlich andere Denkstruktur eingeschleust zu werden, um dort seine wissenschaftsfremde Wirkung zu entfalten.

Kurz: Ein Nachdenken über Gemeinsamkeiten von Physik und Religion muss notwendig auch die Unterschiede bzw. Grenzen deutlich machen. Dieser zunehmend angebotene Einheitsbrei zweier wesensfremder Strukturen führt langfristig in die Bedeutungslosigkeit – für Physik und Religion. Denn wer sich seines eigenen Verstandes bedient, sieht in der physikalischen Bestätigungsforschung für poetische Bibeltexte keine Perspektive (Schöpfung = Urknall, Himmel = Paralleluniversum usw.). Wer allerdings im tiefen Glauben einer universalen göttlichen Macht vertraut, wird eher enttäuscht sein, dass die poetische Kraft religiöser Weltvorstellung auch durch eine nüchterne mathematische Formel (Weltformel!) ersetzt werden könnte. Die Strategie einer Gleichsetzung zweier wesensfremder Denkmuster beschädigt beide Strukturen in ihrer jeweiligen besonderen, originalen Weltbetrachtung. Der karrierebewusste Physiker muss jetzt „eine Physik nach Gottes Willen“ propagieren, obwohl er nicht die geringste Kompetenz für derartige Aussagen besitzt. Der Theologe muss jetzt „die Urknall-Kosmologie als moderne Schöpfungsgeschichte“ hinnehmen, obwohl die Wunderwerke Gottes in seinem Selbstverständnis doch gerade keinerlei rationaler Erklärung bedürfen – sonst verlören sie ja ihre Faszination als Wunder.

Es liegt mir fern, Ihnen oder anderen Personen in irgend einer Weise Unannehmlichkeiten zu bereiten. Mir geht es allein um die von mir als unhaltbar empfundenen Zustände einer zunehmend „christianisierten“ Wissenschaft, die früher oder später von einer neuen Generation als lächerlich empfunden und beiseite geschoben werden wird. 

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Gebler

 

Reaktion: keine
 



„Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“

Kommentar zur Doku auf ARTE vom 18.10.2012  


ARTE gebührt Anerkennung für gründlich recherchierte Beiträge und Filme auf hohem Niveau.

Leider liegt das Niveau der amerikanischen Doku „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“ weit unter dem Gewohnten. ARTE-Zuschauer werden hier unkommentiert mit einer spirituellen Weltsicht konfrontiert, die im Gewande „moderner Wissenschaft“ daherkommt und suggeriert, es handele sich um anerkannte Forschungsergebnisse.

Das Dilemma (auch für ARTE) ist, dass sich kaum noch renommierte Fachleute kritisch zu solcher Weltdarstellung äußern, da die statuierten Exempel an „Abweichlern“ ihre Wirkung tun (Fred Hoyle’s Karriere war zu Ende, nachdem er sich der Urknall-Lehre nicht anschließen wolllte. Halton Arp’s Beobachtungszeiten an Großteleskopen wurden gestrichen, nachdem er brisante Himmelsobjekte entdeckte, die nicht ins Urknallweltbild passten. Sein Lehrer Edwin Hubble wird heute fälschlich als „Entdecker des Urknalluniversums“ dargestellt, obwohl gerade er die von ihm entdeckte Rotverschiebung eher einer „Lichtermüdung“ zuschrieb: Die sicher geglaubte Ernennung zum Chef des neuen Mount-Wilson-Observatoriums war damit unmöglich geworden usw.)

Zwei mächtige Institutionen agieren heute im Hintergrund und nehmen gezielt Einfluss auf alle weltbildrelevanten Forschungen. Die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften werden hinsichtlich ihrer Beiträge zur Stützung eines spirituellen Weltbildes ausgewählt, vom Papst bestätigt und lebenslänglich an den Vatikan gebunden. Der (inzwischen verstorbene) Milliardär und Missionar Templeton hat mit seiner Stiftung eine Institution geschaffen, die u. a. mit ihrem hoch dotierten Templetonpreis (höher als der Nobelpreis) wissenschaftliche Leistungen belohnt, die „die spirituelle Dimension des Lebens“ stärken.

Die heutige Kosmologie ist folgerichtig ein Sammelsurium von mathematischen Konzepten, die Interpretationen hinsichtlich einer Übereinstimmung mit offenbarten Wahrheiten zulassen (Urknallsingularität = Schöpfung, Endknall = Apokalypse, Paralleluniversen = Parallelexistenz von Himmel und Erde möglich usw.) 


Von ARTE erwartete ich:

 Hintergrundinformationen, die dem Laien eine Einordnung solch phantasiereicher Weltdarstellung ermöglichen und auf deren rein spekulativen Charakter – fern jeder Naturwissenschaft – hinweisen,Kritische Hinterfragung der Protagonisten im Film hinsichtlich der Finanzierung ihrer Forschungsprojekte z.B. durch die Templetonstiftung (Max Tegmark erhielt kürzlich         9 Millionen für ein Projekt von dieser Stiftung.)Konkrete Analyse einzelner Behauptungen: Es ist z.B. schlicht falsch, wenn der Urknall als hoch geordneter Zustand beschrieben wird, nachdem das Universum nur noch einem chaotischen Ende zustreben kann. Richtig ist: Das Leben auf der Erde (als hoch geordneter Zustand) entstand durch Import hochwertiger Sonnenenergie und Export minderwertiger Wärme in den Kosmos, d. h. Entropieexport zwischen faktisch isolierten Systemen ermöglicht den Übergang von Unordnung zu Ordnung.Offenlegung der Philosophie bzw. Ideologie, die so unbekümmert im naturwissenschaftlichen Gewande metaphysische Inhalte glaubhaft vermitteln will.
Gleichwertige seriöse Darstellung von Gegenpositionen (z.B. Halton Arp als äußerst präzise arbeitender Astronom lebt in München, wird aber als „letzter Urknallgegner“ eher als bornierter, unbelehrbarer alter Mann dargestellt. Dabei überragt sein Lebenswerk bei weitem das all jener Spekulanten, die durch cleveren Populismus berühmt geworden sind.)

 

Diese Erwartungen scheinen zunehmend unerfüllbar zu werden (auch für die Medien), da die seriöse Wissenschaft selbst in eine Krise geraten ist und von wissenschaftsfremden Interessen dominiert wird. Symbolfigur für diese Krisensituation ist für mich in Deutschland jener Mann, der drei konträre Positionen scheinbar glücklich in sich vereint hat: Prof. Harald Lesch ist gleichzeitig als Astrophysiker, Journalist und Philosophiedozent (Hochschule für Philosophie Society Jesu München) tätig. Überzeugt nun der Astrophysiker die Jesuiten von einer naturwissenschaftlichen Weltsicht oder ist nicht vielmehr ein Einfluss spirituellen Denkens auf die aktuelle Astrophysik unverkennbar, die dann auch gleich mit einem beinahe absoluten Wahrheitsanspruch auf allen Kanälen verkündet werden kann? Lesch hat in Bayern und nun auch in ganz Deutschland seit Jahrzehnten die Deutungshoheit für Kosmologie bzw. Astrophysik übernommen und denunziert z.B. Zeitungen, die kritische Fragen stellen, als „Gazetten, die man hierzulande Zeitungen nennt“. Auf alternative Erklärungsmodelle zur Rotverschiebung, die den Urknall als Schöpfungszeitpunkt gegenstandslos machen, reagiert er mit körperlichen Allergien:

 „... Sie sehn schon, ich hab so’n Hals. ... Ach wissen sie was, eine von diesen Theorien ist die These vom müden Licht ... (demonstratives Gähnen) ... Wird Licht müde? ... Ich bin es müde ... Wissen sie, müdes Licht ... das ist so eine müde Angelegenheit ... Licht soll müde werden und müdes Licht erklärt dann die Rotverschiebung im Universum...“

(Alpha Centauri Staffel 2 Episode 91 Teil 1, Wird Licht müde?)

Herr Lesch informiert uns nicht über wissenschaftliche Argumente, die Spitzenforscher wie Hubble, Zwicky, Arp und viele andere zu dieser Lichtermüdungstheorie geführt haben, sondern ihm genügt seine Überzeugung, dass das Universum in einem Schöpfungsakt geboren wurde. Damit sinkt das Niveau einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung herab auf das Niveau eines Ideologienstreites, in dem es grundsätzlich nicht um das Ringen nach neuen Wahrheiten auf der Basis von Fakten geht, sondern lediglich um Werbung für eine längst feststehende (von einer Autorität offenbarten) Idee, die zur Wahrheit erklärt wurde.

Werbefachleute wie Brian Greene, Max Tegmark, Harald Lesch usw. haben sich auf die Bedürfnisse einer spirituell orientierten Gesellschaft spezialisiert und verkaufen selbst die absurdeste These („Elvis lebt!“ – in einem Paralleluniversum) als seriöse Wissenschaft.

Wann endlich wird wieder seriös über Naturphänomene diskutiert, und zwar im Rahmen einer Wissenschaftskultur, die sich an Regeln hält? Gegenwärtig entsteht eher der Eindruck, dass sämtliche Regeln, Begriffe, Naturgesetze usw. aufgeweicht oder gar „revolutioniert“ werden, und zwar dahingehend, dass eben eine gewünschte Realität konstruiert werden kann – unabhängig von jeglicher Erfahrung.

Wann endlich erinnert man sich, dass haargenau dieselbe Situation vor etwa 200 Jahren schon einmal existierte, als F. W. Schelling seine „Speculative Physik“ propagierte:

Die einzige Aufgabe der Naturwissenschaft ist: die Materie zu construieren.

(Zeitschr. für spekulative Physik 1. Band, Jena 1800)

Es ist der in allen Zeiten wiederholte Versuch, die physische Natur mit rein geistigen Mitteln ins Dasein zu holen – durch die phantastischsten Konstruktionen, fernab jeglicher Erfahrung und Logik. Und wann erinnert man sich, dass Schelling seinerzeit vernichtender Kritik ausgesetzt war von Geistesgrößen wie z.B. Heinrich Heine, der aus dem sicheren französischen Exil 1833 in seiner „Romantischen Schule“ schrieb: 



Heine polemisiert hier gegen den Missbrauch von Wissenschaft durch eine Institution, nicht gegen Religion an sich. Auch heute scheint die intensiv propagierte „Verbindung des Glaubens mit dem Wissen“ eher auf die „Legitimierung einer Institution durch willkürlich ausgewähltes bzw. in Auftrag gegebenes Wissen“ hinauszulaufen. (Oder ist es nur eine Häufung von Zufällen, wenn der Urknall von einem Jesuitenpriester postuliert, auf einem Kongress für Spiritualität vorgestellt, zwar von Einstein als „Priester-Physik“ abgelehnt, dafür von Papst Pius X11. 1950 als Schöpfungsereignis identifiziert und seither dank Päpstlicher Akademie und Templetonstiftung zum „allgemein anerkannten“ Weltbild ausgerufen wurde?)

Schellings Speculative Physik erledigte sich im „naturwissenschaftlichen Zeitalter“, dem 19. Jahrhundert von selbst, erfuhr aber seit der Enzyklika „Pascendi ...“ (1907) eine Renaissance. 

 
Papst Leo XIII. arrangierte sich in gewissen Grenzen mit der Moderne, gründete z.B. die vatikanische Sternwarte, so dass bis zu seinem Tod 1903 eine relativ ungestörte Entwicklung der Naturwissenschaften stattfinden konnte.

Das änderte sich abrupt mit dem neuen Papst Pius X., der die Führungsrolle der Theologie in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft wieder mit harter Hand und allen Mitteln (auch geheimdienstlichen) durchsetzen wollte: Die Erfolge der Naturwissenschaften hatten die Autorität der Institution Kirche in Frage gestellt. Die Enzyklika „Pascendi ...“ (1907) lieferte ein klares Programm für die angestrebten Veränderungen:

 
„... der heiligen Theologie der erste Platz gebührt, ... es liegt an den übrigen Wissenschaften und Künsten, ihr zur Hand zu sein und ihr gleichsam die Dienste einer Magd zu leisten.“

 
Die Ergebnisse dieses Konvertierungsprozesses von einer stolzen, unabhängigen Naturwissenschaft in eine der Spiritualität unterworfenen Magd können wir auf beeindruckende Weise in dem Film „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“ bewundern. Dort sehen wir Briane Greene durch Wurmlöcher wahlweise in die Vergangenheit oder Zukunft springen (entgegen jeglicher Erfahrung von Kausalität) – und kein renommierter Physiker haut mit der Faust auf den Tisch und verbittet sich solch spirituellen Geisterspuk im Namen der Institution Physik.


Man kann sich mit solcher Unterordnung arrangieren, aber einem deutsch-französischen Kultursender wie ARTE stünde es gut zu Gesicht, wenn er sich auch mal kritisch mit der aktuellen Wissenschaftskultur auseinandersetzen würde.


„Verkommene Sitten“ sehe ich in zwei Bereichen:

1.Umgang mit spezifischen Methoden der Erkenntnisgewinnung in den Naturwissenschaften:

Die zur neuen Arbeitsgrundlage erhobene These „Mathematische Existenz ist dasselbe wie physische Existenz“ (Max Tegmark) setzt jede beliebige Geisteskonstruktion einer physisch existierenden Realität gleich. Fehlende experimentelle Beweise liegen in der Natur der Sache, da die meisten Geisteskonstrukte in Paralleluniversen physische Realität haben – und die sind für uns leider prinzipiell unzugänglich. Damit wird Experimentalphysik mit ihren „Fragen an die Natur“ (Experimente) per Definition für die Naturerkenntnis unerheblich und durch reine Spekulation ersetzt.

Akzeptiert eine Mehrheit von Wissenschaftlern tatsächlich diese neue „Wissenschaftskultur“ oder sorgt eine gesteuerte Veröffentlichungspraxis nur dafür, dass Kritiker kaum zu Wort kommen?

2. Umgang mit Personen, die kritische Fragen stellen:

Die urknallkritische Haltung des absolut seriösen amerikanischen Astronomen Halton Arp erwuchs aus aufwändiger Kosmosbeobachtung – nicht aus mathematischen Konstruktionen, deren beliebig gewählte Axiome immer zum gesetzten Ziele führen. Da die sauber dokumentierten Beobachtungstatsachen nicht so ohne weiteres rhetorisch vom Tisch zu wischen sind, wird der Öffentlichkeit die Person Arp so abwertend-lächerlich präsentiert, dass man damit auch dessen wissenschaftliche Argumente für indiskutabel  halten soll.                     

 „... größte Nervensäge der Astronomie, für die meisten Kollegen ist er ein Spinner,  Ketzer-Astronom, sein Gedächtnis ist nicht mehr so gut, er geht gebeugt und stolpert manchmal, Märtyrer der schrumpfenden Gemeinde von Urknallgegnern, man bat Arp aus dem MPI hinauszuwerfen, er sei eine Blamage für das Institut, am MPI hat Arp inzwischen eine neue Theorie aufgestellt, eine Verschwörungstheorie ...“ usw.           

(Max Rauner, ZEIT online 6.1.2010, Arp und seine Welt)

Gegen das Totschlagargument „Verschwörungstheoretiker“ lässt sich nichts mehr  erwidern. Es impliziert eine moralische Verurteilung, denn es unterstellt Arp unlautere Bestrebungen gegen die über alle Kritik erhabene etablierte Wissenschaft. Hier wird Wissenschaftskritik faktisch kriminalisiert – Verschwörer übergibt man der Justiz, und die Wissenschaft hat sich ihrer auf elegante Weise entledigt. Es zeichnet sich beim Umgang mit kritischen Stimmen ein Muster ab: Die inhaltliche Auseinandersetzung wird ersetzt durch Verlagerung der Diskussion auf eine wissenschaftsfremde Ebene (siehe z.B. Lesch: „Gazetten, die sich hierzulande Zeitungen nennen“ – gemeint sind jene deutschen Medien, die einen offenen Brief von Urknallkritikern nachdruckten, der in der Zeitschrift „science“ erschienen war).

 

Von Verschwörern und Gazetten distanziert sich die saubere Wissenschaft selbstverständlich, damit die wahren Botschaften in den Fachblättern um so heller erstrahlen können:

„Und – ja! – Elvis lebt noch!“ – in einer postulierten fernen Parallelwelt.

Das ist nicht Satire oder Esoterik, das ist modernste Physik und ist nachzulesen im angesehenen Fachjournal Physical Review (2001), geschrieben vom angesehenen Physikprofessor A. Vilenkin von der angesehenen Tufts University (Massachusetts), zur anerkannten Mainstreamtheorie ausgerufen und als neueste Errungenschaft moderner Physik bzw. Kosmologie sofort als Lehrbuchweisheit etabliert. Und in Demut erstarrt ob solch tiefsinniger, auf rein spekulativer Basis gewonnen „Erkenntnis“ lässt sich ein fasziniertes Publikum (inclusive Wissenschaftsbetrieb) ernsthaft auf derlei abstruse Esoterik ein und adelt sie zur „modernen Physik“.: Freuen wir uns auf Teil 4/4 von „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“, in dem uns sicher die geballte Wissenschaftsprominenz von der Seriosität solcher Gaukelei überzeugen wird!


Lassen wir uns angesichts dieser schaurig schönen Hinrichtung der Grundsätze der Naturwissenschaften nicht die Stimmung verderben von altmodischen Miesepetern wie Wilhelm Ostwald, der bereits 1909 das von Max Planck propagierte „ideale Weltbild“ grundsätzlich kritisierte und vor dessen Folgen warnte – Folgen, die heute mit „Elvis lebt!“ tatsächlich eingetreten sind:

 Wilhelm Ostwald, Buchvorstellung:


             (Annalen der Naturphilosophie 10/1/1910)

Ostwald sieht qualitative Unterschiede zwischen den Wissenschaften Mathematik, Physik, Biologie, Psychologie usw., so dass kein physikalisches Weltbild (schon gar nicht ein mathematisches) als Weltbild der gesamten Wissenschaft gelten kann. Doch genau auf mathematischen Abstraktionen – bereinigt von jedem Erfahrungsgehalt – gründen die Argumente, die „Elvis lebt!“ salonfähig machen. Nach Ostwald sind mathematische Strukturen die ärmsten, von jeglichem physischen Gehalt gereinigt und deshalb nicht tauglich für Voraussagen hinsichtlich der Welt als Ganzes. Dieser Auffassung war schon Kant:

 

Gegen Leibniz hat Kant betont, dass bloße Widerspruchsfreiheit und bloß logische Deduktionen noch keine Gewähr für sachliche Wahrheit gibt, so notwendig beides für alle Wissenschaft ist. (J. Baumann, Annalen der Naturphilosophie 9/1/1910)

Folgerichtig wurde Kant in den letzten hundert Jahren systematisch entmündigt, so dass Schüler heute in ihren Lehrbüchern lesen: Die Entwicklung der Physik hat von den Kant’schen Prinzipien weggeführt. (Metzler, Physik, Schroedel 1998)

Diese „Wegführung“ vom Prinzip der Erhaltung der Materie machte z.B. den Weg frei für die heute etablierte Urknallspekulation, die allen Ernstes behauptet, die Welt sei in einer Singularität aus dem Nichts entstanden. Eine mathematische Rückrechnung der als Expansionsbewegung gedeuteten Rotverschiebung „beweist“ das doch. Die Akzeptanz solcher Logik „beweist“ dann auch, dass jeder aufgehende Hefekuchen seinen Anfang im Nichts gehabt haben muss.

 

Das auf reine Mathematik rückführbare Weltbild Max Plancks sagt uns „um so exakter nichts, je vollkommener es ausgeführt worden ist.“ (W. Ostwald)

Spätestens mit „Elvis lebt!“ wird deutlich, dass die stete Vervollkommnung des Planckschen Weltbildes nicht nur immer exakter nichts über die physische, biologische und psychische Welt auszusagen vermag, sondern im Gegenteil immer weiter von realen Gegebenheiten wegführt und sich letztlich in Beliebigkeit verliert. Jeder mathematisch beweisbaren Behauptung soll eine Realität entsprechen – notfalls in einem Paralleluniversum. Die Absurdität solcher „wissenschaftlichen“ Welterklärung wird mit „Elvis lebt!“ unübersehbar. 


6Nach einem Jahrhundert Einübung in die Plancksche Denkweise lässt sich ein Pyrrhus-Sieg konstatieren: Die Mathematik hat sich zwar als  Maß aller Dinge etabliert –  aber zu welchem Preise! Welcher Mathematiklehrer kann heute noch erhobenen Hauptes vor seine erwartungsvollen Schüler treten und ohne rot zu werden verkünden: „Elvis lebt!“

Diejenigen, die es tun, behaupten zunächst eine „wissenschaftliche Revolution“, die man nicht verschlafen darf, um dann bei konkreten Gegenargumenten durchs stets offen gehaltene  Hintertürchen zu schlüpfen:

„Die Idee ist interessant genug, um auch auf interessante Art falsch zu sein.“

(M.  Rauner/ T. Hürter, Die verrückte Welt der Paralleluniversen, Piper 2011, Epilog)

 

Dem können wir gern zustimmen: Die Welt der phantastischen Ideen kann so faszinierend, aufregend und auf so interessante Weise falsch sein, dass sie zwar menschliches Wohlbefinden auszulösen vermag, nicht aber das geringste mit Naturwissenschaft zu tun hat. Unbestritten ist der Unterhaltungswert solcher Ideen bzw. Theorien und folglich auch das Interesse der Medien dafür. Aber so, wie der Mensch auf der Zigarettenschachtel den freundlichen Hinweis findet: „Rauchen kann tödlich sein!“, sollten auch Medien gehalten sein, vor bekannten Gefahren zu warnen:

 „Wissenschaftssurrogate können süchtig machen!“ oder

„Garantiert erkenntnisfrei!“

 

Mit freundlichen Grüßen und vollem Verständnis,

wenn sich ARTE für derlei grundsätzliche Fragen nicht zuständig fühlen sollte

 Klaus Gebler                                               Burg, 22.10.2012

 

 
Dieser Kommentar steht auch als PDF zur Verfügung:


Der Stoff aus dem der Kosmos ist Kommentar.pdf
 


Reaktion: keine



Kommentar zum offenen Brief:

„Astronomie als Pflichtfach“ vom 12.11.2009 (Brieftext und Unterzeichnerliste mit Internetadressen z.B. unter
www.lutz-clausnitzer.de
 
Die Aktivitäten zur Etablierung der Naturwissenschaft Astronomie als Pflichtfach sind ohne Wenn und Aber zu begrüßen und verdienen jede Unterstützung. Wenn man sich die hochkarätige Unterzeichnerliste ansieht, scheinen die Chancen dafür nicht schlecht zu stehen. Sollte sich ein Erfolg abzeichnen und tatsächlich jeder Schüler einmal in den Genuss von Astronomieunterricht kommen, so wird die Frage nach den Inhalten seriös zu klären sein. Es sei erlaubt, auf  ein existenzielles Problem der Astronomie zu verweisen, das dann kaum noch tabuisiert werden kann und in der öffentlichen Diskussion eine zentrale Rolle spielen wird.

 
Wenn Astronomie beitragen soll, „... eine Gesamtsicht auf  Natur und Gesellschaft zu generieren ...“, so kommen Weltanschauungsfragen ins Spiel: Vertrauen wir den Ergebnissen unserer astronomischen Forschungen so weit, dass daraus gegebe­nenfalls sogar neue Weltbilder abgeleitet werden müssen (zukunftsorientierte Astronomie) oder beharren wir auf  einem bewährten konservativen Weltbild und richten alle Aktivitäten eher auf  die Einordnung neuester Erkenntnisse (konservative Astronomie)?

Alle Indizien sprechen dafür, dass letztere Herangehensweise heute den Umgang mit Astronomie bestimmt. Die Folgen für die Naturwissenschaft Astronomie sind fatal. Wenn zum Beispiel „der Urknall als physikalische Version der Schöpfungsge­schichte“ (DPG, Denkschrift zum Jahr der Physik 2000)  interpretiert wird, so besteht seitens einer konservativen Gesell­schaft nicht das geringste Bedürfnis, nach alternativen Theorien zu suchen. Im Ge­genteil – solche Suche wird geradezu als störend empfunden und entsprechend erschwert bzw. bespöttelt. Ein Offener Brief von 33 Wissenschaftlern im New Scientist (22.5.2004) gegen das Urknall-Dogma (später hundertfach von weiteren Wissenschaftlern unterzeichnet) wurde in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen, von Chinesen (www.china-intern.de) erstmals ins Deutsche übersetzt und in der Wochen­schrift Die Zeit  (1.7.2004) schließlich lächerlich gemacht: Man könne nicht jeden, der einen Schuss in den Theorienwald abgibt, mit Forschungsgeldern ausstatten. Damit wird jedem wissenschaftlichen Diskurs der Boden entzogen, und man kann zur Urknall-Tagesordnung überge­hen. Einziger Tagesordnungspunkt: Urknall; einziger Diskussionsgegenstand: Urknallbeweise, einzig zugelassene Diskussionsteilnehmer: Urknallbefürworter.

Es übersteigt natürlich die Kompetenz von Astronomen, eine Gesamtsicht auf Natur und Gesellschaft propagieren zu wollen. Es übersteigt aber ebenso die Kompetenz einer Gesellschaft (in Gestalt von Politikern in Bewilligungsausschüssen, Philoso­phen usw.), ins gerade aktuelle Weltbild passende Forschungen als relevant zu för­dern und andere als irrelevant zu ignorieren.

Kurz: Mit der Einführung eines Pflichtfaches Astronomie kann die Frage der Autono­mie dieser Naturwissenschaft nicht länger tabu sein. (Es lässt ja einen weiten Inter­pretationsspielraum zu, wenn die UNESCO auf Vorschlag Italiens ein Jahr der Astro­nomie ausruft, zu dem Papst Benedikt XVI. ausdrücklich „ermuntert“ hat;      ZENIT 29.1.2009).

Der allseits beschworene „Dialog zwischen Glaube und Vernunft“ wird ja ad absurdum geführt, wenn der Dialogpartner „Vernunft“ seine eigenständige aufklärerische Rolle verliert und letztlich nur noch als Bestätiger der spirituellen Thesen seines Gegenübers fungiert. Wenn eine Naturwissenschaft mit allen ihren Mitteln die These zu stützen versucht, „Alles kann aus Nichts erzeugt werden“ (H. Fritzsch, Physik im Wandel, Rotbuch 2000), so hat sie die Positionen des Dialogpartners bereits übernommen und steht nun ihrerseits in der Pflicht, dafür „wissenschaftliche Beweise“ zu liefern. Da das grundsätzlich nicht mög­lich ist, müssen geistige Konstrukte wie „Dunkle Materie“,  „Multiversum“ usw. her, die einer Überprüfbarkeit nicht zugänglich sind und deshalb keinerlei naturwissen­schaftlichen Wert besitzen.

Dieser Entwertungsvorgang in der Astronomie ist bereits so weit fortgeschritten, dass auf jede Entlarvung einer pseudowissenschaftlichen Konstruktion sofort eine noch größere Ungeheuerlichkeit zur Rettung der „Gesamtsicht“ folgt: Da z.B. die jahr­zehntelang gepredigte absolute „Schöpfung von Raum, Zeit und Materie aus dem Nichts“ trotz brillanter Rhetorik nicht mit dem Energie­erhaltungssatz vereinbar ist, lässt man dieses Dogma plötzlich fallen und propagiert neuerdings (übereinstimmend mit dem Vatikan) ein vor dem Urknall existierendes Universum mit umgekehrter Zeitrichtung („dass die Materie auch vor dem großen Knall als Schöpfung Gottes existiert habe“, Ratzinger, www.kreuz.net, 2005). Auf der Popularisierung solcher Thesen bauen Nachwuchsforscher dann ihre Karrieren, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis derlei Spekulationen als Standardmodell in die Lehrbücher eingehen.

Damit aber stellt sich die Frage, inwiefern die Astronomie den Begehrlichkeiten wis­senschaftsfremder Interessen gewachsen ist bzw. ob sie das Problem überhaupt als solches wahrnimmt und zur Diskussion stellt. Finanzkräftige Stiftungen mit eindeutigen Erwartungen richten heute bereits Kongresse aus, deren Ergebnisse den Erwartungen exakt entsprechen und damit unübersehbar die Gewichte in Richtung Spiritualität verschieben. Die Einführung eines Pflichtfaches Astronomie machte ja nur Sinn, wenn damit eine eigenständige naturwissenschaftli­che Sicht auf die Welt gefördert würde – unabhängig von gerade aktueller, gewünschter (spiritueller) Weltsicht. Der Theologe Charles Darwin hat die Abgrenzung der Biologie von der Theologie als Voraussetzung für ideologiefreie Naturwissenschaft erkannt und damit den Weg für eine beispiellose Erfolgsgeschichte freigemacht. Jede Gesellschaft kann heute die Ergebnisse der Biologie frei interpretieren (auch spirituell), kaum aber mehr deren Forschungsfelder und Wunschergebnisse diktieren.

Die Abgrenzung der Astronomie von der Theologie scheint dagegen künftigen Generationen vorbehalten zu sein – eine „Urknallkosmologie als physikalische Version der biblischen Schöpfungsgeschichte“ kann auf Dauer mit naturwissenschaftlichen Mitteln einfach nicht seriös vermittelbar sein.

Wenn ein Spitzenastronom wie Halton Arp nur deshalb die Beobachtungszeiten an Großteleskopen gestrichen bekam, weil er physisch zusammenhängende Galaxien mit unterschiedlicher Rotverschiebung untersuchte, die es im Urknallweltbild nicht geben kann (Los Angeles Times 15.2.1982), so lässt sich erahnen, wie es um die „Unabhängigkeit“ der Astro­nomie derzeit steht.  Die ungeheure Komplexität des Kosmos auf eine einzige eindimensionale Urknallspekulation zu reduzieren (unter rigorosem Ausschluss jeglicher Alternativen) mag heute noch formal durchsetzbar sein, verliert aber zunehmend an Akzeptanz, weil sie kaum noch Perspektiven für naturwissenschaftlich begründete Kosmosforschung bietet.

Die Eigenständigkeit der Astronomie aber wenigstens anzustreben und naturwissenschaftlichen Prinzipien wieder Vorrang vor metaphysischen Spekulationen zu geben, sind existen­zielle Voraussetzungen für das Gelingen des Projektes „Astronomie als Pflichtfach“ – auch und gerade im Interesse einer konservativen zukunftsorientierten Gesellschaft.


Dieser Kommentar versteht sich als Diskussionsbeitrag und steht mit Qellenangabe zur freien Verfügung. Er gehört zu einer Reihe von kritischen Schriften, Präsentationen und Büchern des Autors, die im Internet unter www.klaus-gebler.de im Volltext zugänglich sind.

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Wie unabhängig ist die Astronomie



... und die Erde ist doch eine Kugel!


Reaktion auf Reaktionen zum Kommentar 

Allen, die sich Zeit für teilweise sehr detaillierte Reaktionen auf obigen Kommentar genommen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Die äußerst verknappte Darstellung führte allerdings auch zu Missverständnissen bzw. Irritationen, so dass die folgenden Präzisierungen zumindest zum besseren Verständnis der aufgeworfenen Problematik hilfreich sein könnten.

   1. Quelle manchen Missverständnisses ist die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Astronomie“. Im offenen Brief wird von der „Natur- und Kulturwissenschaft Astronomie“ gesprochen. Eine Naturwissenschaft arbeitet aber methodisch ganz anders als eine Kulturwissenschaft, so dass immer auseinander zu halten ist, von welcher Astronomie gerade die Rede ist. Unter dem Dach der Astronomie wohnen gleichsam zwei wesensfremde Mieter: Während sich der eine an die strengen Regeln naturwissenschaftlichen Forschens zu halten hat, ist dem anderen eine weitreichende Phantasie gestattet, um die Fakten möglichst harmonisch zu einem Gesamtbild zu vereinen. Der offene Diskurs, der Streit, die Suche nach Kompromissen zwischen beiden gleichberechtigten Mietern bildet die Grundlage für die Erfolge der Astronomie.

   2. Der bis heute nachwirkende „Fall Galilei“ zeigt eindrucksvoll die Folgen, wenn ein Mieter den anderen nicht ernst nimmt und ihn lediglich als willfähriges Werkzeug für seine Interessen benutzen möchte. Es gibt mancherlei Anzeichen für heutigen ähnlich unangemessenen Umgang mit zutiefst seriösen Forschern, deren harte Fakten nur nicht ins Gesamtbild passen: „Halton Arp spielt seit Langem die Rolle eines Advocatus Diaboli...“ (Bartelsmann in ASTRONOMIE HEUTE, März 2006). Wer will schon mit einem Anwalt des Teufels an einem Tische sitzen und dessen Argumente hören. Dabei hat Arp lediglich ungewöhnliche Galaxien beobachtet und 338 davon in seinem Atlas of Peculiar Galaxies veröffentlicht. Dabei stieß er auf Dutzende physisch miteinander verbundene Objekte mit unterschiedlicher Rotverschiebung (z.B. Markarian 205 und NGC 4319), was ihm die Streichung der Beobachtungszeiten an den Großteleskopen einbrachte – die Ergebnisse passen absolut nicht ins Urknallmodell. (Alternativforschung wird nicht erschwert? Wer die Schriften Arps liest, kommt doch etwas ins Grübeln. Was diesem äußerst seriösen Spitzenastronomen widerfahren ist, klingt wie ein Kapitel aus Galileis Zeiten)

   3. Mit der Formulierung des Energieerhaltungssatzes im 19. Jahrhundert wurde der philosophische Satz des Demokrit „Nichts kann aus Nichts erzeugt werden“ zur anerkannten Basis naturwissenschaftlichen Forschens. Mit der Formulierung der Urknalltheorie im 20. Jahrhundert wurde der philosophische Satz „Alles kann aus Nichts erzeugt werden“ wieder salonfähig gemacht. Logisch schließen sich beide Sätze aus, so dass nur einer als logisch richtig gelehrt werden kann. Als Schüler, Student, Laie, Nichtfachmann usw. suche ich bei Experten Orientierung, nicht rhetorische Verrenkungen, die letztlich beide Sätze gelten lassen. Die Argumente für „Alles aus Nichts“ halten rein naturwissenschaftlicher Überprüfung nicht stand: Wenn Materie bzw. Energie eines riesigen Universums zunächst auf winzigste Ausdehnungen komprimiert sein sollen, so verschwinden sie doch nicht im Nichts. Auch die Änderungen der Erscheinungsform berechtigen den Naturwissenschaftler nicht, von Nichts zu sprechen. Wenn Geisteswissenschaftler „metamorphotische Transformationen“ zulassen, die das „wirkliche Nichts“ in ein „winziges Etwas“ transformieren (bzw. umgekehrt), so muss der Naturwissenschaftler sprachlos zurückbleiben: Auf dieser Basis wird jeder Dialog zur Farce, denn der oszillierende Bedeutungswechsel der Grundbegriffe macht jede beliebige Behauptung beweisbar.

   4. „Alles kann aus Nichts entstehen“ hat längst seinen Status als „aufmacherisches Paradoxon“ verlassen und erhebt den Anspruch auf ernst zu nehmende Schulweisheit. Zitat: Vieles spricht dafür, dass die Gesamtenergie des Universums Null ist. Die Aussage des alten griechischen Philosophen Demokrit, „Nichts kann aus Nichts erzeugt werden“ muss dann wohl ersetzt werden durch: „Alles kann aus Nichts erzeugt werden.“ (Prof. H. Fritzsch in: Physik im Wandel, Hrsg. Knut Urban/ Günter Paul,  Rotbuch 2000)
 Der Sammelband führt den Leser „auf die Höhe der aktuellen Physik“ (Urban/Paul im Vorwort) und wurde durch die „Heraeus-Stiftung zur Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet der Naturwissenschaften“ im Jahr der Physik 2000 kostenlos an Gymnasien der Bundesrepublik verteilt. Da der Herausgeber Knut Urban als hochrangiger Physiker am Forschungszentrum Jülich und Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 2004 - 2006 es ganz sicher ernst meint mit der „Höhe der aktuellen Physik“, gibt es keinen Grund, die Botschaft „Alles kann aus Nichts erzeugt werden“ in irgendeiner Form zu relativieren. Mir ist auch keinerlei kritische Auseinandersetzung mit diesem fundamentalen Paradigmenwechsel bekannt, der ja erkenntnistheoretisch die Rückkehr in vorantike Zeiten (vor Demokrit) bedeutet. Auf Nachfrage will sich aber auch niemand ausdrücklich zu diesem Wechsel bekennen – obwohl er doch faktisch schon stattgefunden hat. 

   5. Und hier schließt sich der Kreis: Wie nun sollen Naturwissenschaftler mit dieser neuen Botschaft umgehen, wenn sie neuerdings aus den eigenen Reihen und sogar von deren größten Autoritäten verkündet wird? Kann der Physiklehrer weiterhin das „Nichts kann aus Nichts entstehen“ (im Sinne des Energieerhaltungssatzes) lehren und eine Stunde später denselben Schülern im Astronomieunterricht ein „Alles aus Nichts“ glaubhaft vermitteln? Soll dieser Lehrer im Physikunterricht weiterhin auf eindeutige Begriffe pochen, im Astronomieunterricht aber einen doppeldeutigen Nichts-Begriff einführen und mit „Nichts“ mal „Wirkliches Nichts“ und ein andermal „Fast Nichts“ meinen dürfen? Kann jemand einen einzigen einleuchtenden Grund nennen, warum die mühsam erreichte Klarheit in den Naturwissenschaften – ohne Not! - nun wieder derart getrübt werden soll? Cui bono - wem zum Nutzen? 

11.12.2009